Die Formel „Aliens greifen die Menschheit an“ zieht seit den 1950er-Jahren mal besser, mal schlechter. Gelungenen Genre-Delikatessen wie „Body Snatchers“, „Starship Troopers“ oder „Edge of Tomorrow“ stehen Myriaden von Fast-Food-Flimmerwerken der Marke „das Gammelfleisch schmeißen wir nicht weg, da kann man noch was Leckeres draus machen“ gegenüber. Der sympathische Kleinhändler „Amazon“ greift 2021 tief in die Registrierkassa, um sich einen bescheidenen Anteil am Invasionsfilm-Kuchen zu sichern. Gerüchteweise sollen um die 200 Millionen Dollar in der Handkassa gefunden worden sein. Hat sich der Griff für Amazon sowie seine Amazon-Prime-Kunden und-Kundinant*_Innen_und_Außen gelohnt? Ehe wir diese Frage beantworten, solltet ihr vorsichtshalber auch mal die Zwischenräume der Couch filzen oder in der Bestecklade nachgucken, ob sich nicht zufällig die eine oder andere Million wiederfindet.
Knall statt Kniefall beim Fußball
Bio ist längst wieder out. Jedenfalls findet das Biologielehrer Dan Forester (Chris Pratt), den sein Job und sein Leben ziemlich anöden. Verständlich, hat er es doch lediglich dazu gebracht, mit der bildschönen Emmy (Betty Gilpin) verheiratet zu sein, Vater (für linksverdrehte Leser: „Vater“ war ein rechtskonservatives pseudo-biologisches Konstrukt für den korrekten Ausdruck „Elter 2“) einer hyperintelligenten Tochter zu sein und ein Haus in einer nicht gerade „Ghetto, Alder!“ schreienden Vorstadt-Siedlung zu besitzen. Darüber kann selbst das im Fernsehen laufende Fußball-WM-Finale 2022 in Katar zwischen Brasilien und Nichtdeutschland (Spoiler: Deutschland wird bei der nächsten WM im Semifinale gegen Italien ausscheiden, da alle deutschen Spieler 90 Minuten lang knien, um auf diese Weise gegen Rassismus, den Klimawandel, das Schmelzen der Gletscher und RTL zu protestieren, was dazu führt, dass ein italienischer Spieler über das Knie eines Deutschen stolpert und Elfmeter bekommen wird … den er im Nachschuss gegen den knieenden Torhüter souverän verwandelt) hinwegtäuschen.
Aber, huch!, was ist das? Als ein dunkelhäutiger Brasilianer entweder den Ball Richtung Tor trägt oder vor einem der weißen Gegenspieler flüchtet, öffnet sich eine Art Portal und eine Gruppe Soldaten erscheint auf dem Spielfeld. Die offensichtliche Anführerin Lieutenant Hart (Jasmine Mathews) nutzt die Gelegenheit und hält – obwohl sie ja kaum mit den Audiosystemen verkabelt sein kann - eine dramatische Rede an die Menschheit. Sie komme aus der Zukunft, einer Zukunft, in der fast die gesamte Menschheit von Monstern ausgelöscht wurde (oder werden wird? Zeitreisen sind verwirrend). Deshalb werde die Hilfe der Menschen der Gegenwart benötigt, um diese Monster zu bekämpfen.
In eher ungewohnter Einmütigkeit schließt sich die Menschheit zusammen, um der Gefahr zu trotzen. Freilich weist die gute Tat einen Haken auf: Der Großteil der Rekrutierten bleibt beim Kampf auf der Strecke, da der Krieg gegen die bösen außerirdischen „White Spikes“ ähnlich aussichtslos scheint, wie das Äußern eines vernünftigen Gedankens auf einem „Grünen“-Parteitag. Schließlich wird auch Dan von Uncle Sam / Aunt Pam rekrutiert, wobei ihm seine Vergangenheit als Soldat im Irak zugute kommt. Gemeinsam mit einer Gruppe ehemaliger Zivilisten wird er auf eine gefährliche Mission geschickt, die das Blatt wenden könnte. Doch die erste offene Konfrontation mit den Invasoren endet im ersten vieler folgender Blutbäder …
Es darf herzlich gekracht werden!
An Erfahrung mit Stecksystemen mangelt es Regisseur Chris McKay nicht: 2017 durfte er schließlich „The Lego Batman Movie“ inszenieren. Knapp vier Jahre später konnte er es dank eines ungleich höheren Budgets mit „The Tomorrow War“ ordentlich krachen lassen, wenngleich es gut eine Dreiviertelstunde dauert, bis die Aliens ins Bild hüpfen, metzeln und schleimen. Warum der Hinweis auf die Stecksysteme? Ganz einfach: „The Tomorrow War“ erinnert nicht nur namentlich frappant an den kommerziell leider nicht erfolgreichen, cleveren Science-Fiction-Kracher „Edge of Tomorrow“, falls man diesen einer Lobotomie unterzogen hätte. Naturgemäß weisen Zeitreise-Filme eine gewisse Unschärfe hinsichtlich ihrer inneren Logik auf, was der geneigte Science-Fiction-Fan hinzunehmen weiß, solange die Handlung fesselnd ist.
Doch trotz einiger guter Ideen und Ansätze mäandert „The Tomorrow War“ von einem Akt zum nächsten, ohne jemals so richtig zu zünden. Die erste Viertelstunde ist eine wahre Zen-Übung in Geduld, den Film nicht einfach zu stoppen und sich lieber zum x-ten Male „Independence Day“ anzugucken. Der ist zwar enorm dümmlich, aber auch enorm unterhaltsam von Beginn weg. Der am 2. Juli 2021 weltweit auf Amazon Prime premierende „The Tomorrow War“ hinterlässt hingegen den Eindruck, eine Trilogie wäre auf 140 Minuten zusammengedampft worden, wobei die spannendsten Actionsequenzen gestrichen und durch banale Dialoge und uninspiriertes Gewumme ersetzt wurden.
Um nicht missverstanden zu werden: Es kracht, blitzt und explodiert bisweilen gewaltig. Aber das Gefühl, dass hierbei irgendetwas auf dem Spiel stünde, geschweige denn das Überleben der Menschheit, stellt sich an keiner Stelle ein. Jede potenziell dramatische Szene wird entweder mit einem mal mehr, mal weniger gelungenen Witz verharmlost oder durch eine unfreiwillig komische, pseudo-emotionale Rührsequenz entschärft. Der Spannung nicht gerade förderlich ist die weitgehende Absenz von Logik, etwa wenn Zivilisten, die noch nie im Leben etwas Gefährlicheres als einen Brieföffner oder einen Wahlzettel für die Bundestagswahl in Händen hielten, eine Wumme in die Hand gedrückt wird und sie ohne jegliche Einschulung in Feindesgebiet entsandt werden. Übrigens ohne ihnen zu eröffnen, gegen wen sie eigentlich kämpfen und welche Schwachstellen der Feind hat, damit sie nicht unnötig in Angst versetzt werden. Und natürlich ohne ihnen die eventuell durchaus interessante Information zu flüstern, dass besagtes Feindesgebiet in einer Stunde dem Erdboden gleichgemacht werden wird. Vielleicht gehe ich zu hart ins Gericht, denn unmittelbar nach der Ankunft wissen die meisten Zivilisten plötzlich, wie sie ihre Waffen bedienen müssen und verfügen zumindest über die basics an Militärtaktiken.
White Spikes Lives Don´t Matter
Ob „The Tomorrow War“ tatsächlich um die 200 Millionen Dollar kostete, vermag ich nicht einzuschätzen, nach der fünften gezählten Million bin ich eingeschlafen. In Punkto Monsterdesign muss sich die Produktion jedenfalls nicht hinter ähnlich gearteten Machwerken verstecken. Kreativ tobte sich beim Design der White Spikes genannten Aliens zwar niemand aus, aber das garstige Aussehen und die makellose CGI gleich das Kreativdefizit aus. So richtig erschließt sich die gigantische Höhe des Budgets jedoch nicht, da es nebst zwei überwiegend am Rechner entstandenen Action-Gewittern keine herausragenden Showdowns gibt.
Und das ist im Fall von „The Tomorrow War“ bedauerlich, verliert der Streifen doch gerade in den ruhigeren Momenten enorm an Fahrt. Den wenigen gelungenen Witzeleien stehen zähe Dialoge und völlig unzureichende Charakterisierungen gegenüber. Chris Pratt ist Sympathieträger erster Güte und versteht sein Charisma, seinen Charme und seinen natürlichen Witz in locker-flockigen Produktionen von der Stange wirkungsvoll einzusetzen. Hier hätte ein gestandener Action-Darsteller für mehr Stabilität gesorgt. Und nein, Bruce Willis, von dir ist nicht die Rede, seit du in lächerlichen C-Produktionen auftrittst. Hat dir während deiner Ehe mit ihr Demi heimlich Botox ins Protein-Müsli gemischt?
Gute Plot-Ideen zu verschenken! Greifen Sie zu!
Selbst J.K. Simmons als paranoider Vater vermag nicht über die fehlende Tiefe der Figurenzeichnungen hinwegzutäuschen. Niemand erwartet shakespear’sche Dramaturgie von einem Film über Zeitreisen und Alien-Invasionen. Aber ein wenig mehr als Holzschnitt-Figürchen aus Geppettos Werkstatt darf man von einem sündteuren Actionkracher denn doch erwarten, um Interesse an den einzelnen Charakteren zu erwecken.
Das Frustrierendste an „The Tomorrow War“ sind die völlig verschenkten Plot-Ideen und die interessante Prämisse. Wie üblich – bzw. wie in Mainstream-Medien mittlerweile unüblich – spoilere ich nicht, deshalb sei nur soviel verraten: Jede erhoffte, originelle Wendung des Plots versandet mit traumwandlerischer Sicherheit im geistesabwesenden Vakuum des Drehbuchs. Am Schlimmsten ist übrigens der Showdown, der einen auf dem Silbertablett servierten und abholbereiten Plot Twist ignoriert und stattdessen ein 08/15-Ende kredenzt.
Fazit nach viel zu langen 140 Minuten:
Fazit nach viel zu langen 140 Minuten: Wer alle guten Alien-Invasionsfilme bereits gesehen hat und Mitglied bei Amazon Prime ist, darf sich spätestens beim Abspann von „The Tomorrow War“ die Frage stellen, ob er Teilnehmer eines globalen Amazon-Experiments war, ob jeder, wirklich jeder unausgegorene Quatsch geguckt wird. Die Antwort erhalten wir spätestens dann, falls der angedrohte zweite Teil Wirklichkeit werden sollte. Amazon produzierte und produziert durchaus interessante Serien und Filme – dieser zählt nicht dazu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen