Eine deutsche Serie über ein historisches Ereignis kann ja eigentlich nur die Jahre zwischen 1933 und 1945 abhandeln. Oder etwa doch nicht? Die von der Österreicherin Barbara Eder in Szene gesetzte Serie „Barbaren“ widmet sich der legendären Schlacht im Teutoburger Wald vor zweitausend Jahren, als germanische Barbaren-Stämme drei römischen Legionen aktive Sterbehilfe leisteten. Das klingt originell, da nicht bereits tausendmal wiedergekäut, und spannend. Ist es auch. Aber nur, bis man die auf sechs Teile in die Länge gezogene Serie „Barbaren“ auf Netflix angeguckt hat.
Nicht wenige wollen in dieser Serie gar den würdigen Nachfolger von „Game of Thrones“ erkannt haben. Das ist wahrscheinlich derselbe Menschenschlag, der einen Fettfleck auf einem Foto als Bigfoot zu identifizieren glaubt. Eine vom Menschen zur Feministin transformierte Rezensentin einer Illustrierten fieberwahnte in dem geschichtsträchtigen Plot gar Kritik am rechten Populismus wahrgenommen zu haben. Nüchtern betrachtet kommt „Barbaren“ als weiteres, schnell heruntergekurbeltes Netflix-Zeitgeist-Produkt daher.
Germanien in den Nuller-Jahren: Mit eiserner Faust beherrscht das Römische Imperium weite Teile jenes Gebiets, das uns heute als das beste Deutschland aller Zeiten bekannt ist. Statthalter Publius Quinctilius Varus, Künstlername: Varus, es muss ja doch nicht immer Englisch sein, sorgt bei den Barbaren für Zucht und Ordnung. An seiner Seite: Der als Geisel nach Rom verschleppte cheruskische Fürstensohn Arminius (Laurence Rupp), mittlerweile treuer Vasall des Imperiums und bis zum Offizier aufgestiegen.
Weniger auf seiner Seite: Diverse germanische und keltische Stämme, die sich von Rom unterdrückt und ausgebeutet fühlen, darunter der eher tat- denn denkkräftige Folkwin (David Schütter) und die durchaus clevere Fürstentochter Thusnelda (Jeanne Goursaud). Anfangs stellt Arminius die römische Herrschaft nicht in Frage. Doch angesichts der unerbittlichen Gewalt gegen die einheimischen Stämme gerät er immer stärker in den Sog der BLM (Barbarian Lives Matter!)-Bewegung und sinnt sogar über den ultimativen Verrat nach. Aber können heillos zerstrittene Stämme gegen die Macht der römischen Legionen auf Erfolg hoffen?
Schmachten & Schlachten in Dunkeldeutschland
Die Vorbilder für die Netflix-Serie „Barbaren“ sind klar erkennbar: Nebst einschlägigen Produktionen wie „Vikings“ stand der grandios inszenierte „Gladiator“-Pathos patent Pate.
Doch während Ridleys Scotts oscargekröntes Spektakel mit einer sehr lose der Schlacht im Teutoburger Wald nachempfundenen, wuchtigen Sequenz beginnt, bildet diese in „Barbaren“ den logischen Schlusspunkt. Bis es soweit ist, wird ausführlich geschmachtet, geschlachtet und gequatscht, was mal mehr, mal weniger typisch teutonisch daherkommt. Positiv hervorheben kann man den filmreifen Soundtrack, der leider nur für eine mittelprächtige Fließband-Produktion verhackstückt wurde.
Die zentrale Aufgabe einer an reale historische Ereignisse angelehnten Serie ist natürlich die Erzeugung und Aufrechterhaltung von Spannung. „Barbaren“ vermag es allerdings an keiner Stelle, den Zuschauer zu packen. Gar zu lauwarm und unausgegoren sind die Beziehungsgeflechte mitsamt der offenbar unvermeidlichen Dreiecks-Kiste, in der eine Frau zwischen zwei Alpha-Männchen hin- und hergerissen ist. Als Nebenplot kann das ja reizvoll sein – hier packt einen jedoch weniger die Spannung und vielmehr das Gefühl, versehentlich in einen modernen Kitsch-Roman vor historischem Hintergrund hineingetapst zu sein.
Ärgerlich, denn bei Ausstattung und einigen historischen Ausführungen ist Liebe zum Detail erkennbar, die dann jedoch wieder „modernen Interpretationen“ geopfert wird. Das überakzentuierte Latein der Römer ist noch verdaubar, schlimm ist indes das flapsige Deutsch. Als Zielgruppe hatte man ganz offensichtlich junge Erwachsene und hierbei wohl vor allem Frauen im Visier: Schmachtende Männer mit ordentlich Muckis, ein bisschen was fürs Herz und eine selbstbewusste Frau, die die Männer mal mit Charme, mal mit ihren dünnen Ärmchen aufs Kreuz legt und meist wie frisch dem Model-Katalog entsprungen aussieht, schicke Cocktailkleidchen inklusive.
Weniger schick wird hingegen Germanien in Szene gesetzt: Oft sieht man den Barbaren vor lauter Bäumen nicht, schlammgraue wechselt sich mit blaugrauer Bildersprache ab, Tiere existieren nur auf Bratspießen, und stets ereilt einen das Gefühl, Zeuge der visuellen Präsentation von Düsterdeutschland geworden zu sein. Das ist zwar technisch kompetent, auf Dauer jedoch ermüdend.
Legionärskrankheit Brummschädel
Aufgelockert wird das dialoglastige Geschehen durch vereinzelte Gewaltakte, die überraschend gewalttätig über die Bildschirme bluten. Mehr Enthauptungen als in „Barbaren“ findet man höchstens noch in Frankreich. Daneben wird noch gekreuzigt, mit Schwertern abgeschlachtet oder ein Speer in Spenderkörpern geparkt, um dem Vorwurf des verfilmten Kitschromans zu entgehen. Grob vernachlässigt wird die Darstellung der damaligen Lebensumstände. Was zeichnete die jeweils unterschiedlichen Stämme aus? Wie hausten die schon länger hier Lebenden, im Gegensatz zu jenen, die noch nicht so lange hier lebten, also die Römer? Apropos Römer: Diese werden fast ausschließlich arrogant und snobistisch präsentiert, was angesichts des Selbstverständnissen überlegener Zivilisation gar nicht so unrealistisch ist, bei den Legionären, die ja oft einfache Bauern waren, seltsam erscheint. Hier hätte ein bisschen Empathie für interessante Zwischentöne sorgen können, die jedoch völlig dem großen Finale untergeordnet werden.
Spoiler ist es wohl keiner: Das Finale besteht in der Varusschlacht, welche für eine Netflix-Serie ansehnlich inszeniert wurde. Wo genau diese tatsächlich stattfand, ist eine im Grunde genommen unerhebliche Streitfrage angesichts der kaum vorstellbaren Katastrophe, so man die Historie durch die damaligen Augen Roms betrachtet. Abgesehen von den vernichtenden Niederlagen gegen das Feldherrn-Genie Hannibal stellte diese Schlacht die schlimmste Demütigung Roms dar. Historisch akkurat mögen Serien wie diese nicht unbedingt sein, was freilich am eigentlichen Unterhaltungszweck vorbeischielt.
Lasst mich deshalb den Unterhaltungswert der Serie zusammenfassen: Wäre „Barbaren“ ein Schüler (Frauen, otherkins und Aliens sind selbstverständlich mitgemeint), würde ich als Note eine Vier vergeben: Kein völliger Fehlschlag, aber weit davon entfernt, mich mit der Intensität eines „Gladiator“ zu unterhalten. Um das Phrasenschweinchen zu bemühen: Zuviele Köche verderben den Einheitsbrei. „Barbaren“ schrammt mit seiner interessanten und originellen Prämisse ärgerlich knapp daran vorbei, endlich einmal eine von dem ganzen „wir Deutsche mit unserer besonderen Geschichte“-Wahn entrümpelte Serie zu sein. Aber so richtig getraut hat man sich dann doch nicht und statt normal aussehender Schauspieler denn doch Models gecastet, Gut und Böse schön in Schublädchen positioniert, das Zielpublikum mit ein bisschen nackter Haut, Liebesgesülze und einer Extraportion Blut und Gewalt brav bedient.
Wer sich von einer Netflix-Serie lediglich ein bisschen Ablenkung erhofft und den Mouse-Finger am Vorspul-Button bei den langweiligen Szenen hält, wird mit einer letztendlich risikolosen Unterhaltungsserie von der Stange belohnt. Alle anderen dürften in Anspielung auf Kaiser Augustus‘ Worte angesichts der vernichtenden Niederlage stöhnen: „Netflix, gib die Stunden zurück!“
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