Was für ein Sakrileg: Der neben Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ wohl meistumjubelte Science-Fiction-Film überhaupt, erfährt 2017 ein spätes Sequel. Denis Villeneuve
wagt mit „Blade Runner 2049“ das Unmögliche und schafft das schier Unmögliche, nämlich die nicht minder schwer kultverdächtige Fortsetzung eines Kultfilms.
La La Land ist abgebrannt
Wie weiland 1982 unter Ridley Scott, fokussiert sich 35 Jahre später Denis Villeneuve auf ein düsteres Los Angeles in nicht zu ferner Zukunft. Im Jahr 2049 hat sich die Erde
immer noch nicht vom Zusammenbruch der Ökosysteme erholt, weshalb die meisten Menschen in Molochen wie Los Angeles leben. Trost vom Dauerregen und dem Smog bieten neben den Replikanten lebensechte Hologramme. Auch der routinierte
Blade Runner K (Ryan Gosling) besitzt ein solches, mit dem er wie in einer richtigen Beziehung lebt.
Bei einem seiner Einsätze stößt er auf einen pikanten Fund, der das fragile Gesellschaftsgefüge aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Seine Vorgesetzte, Lieutenant Joshi (Robin Wright), gibt ihm zwar Rückendeckung, doch Unternehmer Wallace (Jared Leto), der die Tyrell Corporation übernommen hat, setzt alles daran, den Fund und seine Implikationen zu unterdrücken. Neugierig geworden versucht K., das ganze Mysterium zu enthüllen, was ihn auf die Spur des ehemaligen Blade Runner Deckard (Harrison Ford) führt …
Blade Runner 2049: Bessere Story als das Original
Ich will ehrlich sein: Als ich erstmals von einer möglichen späten Fortsetzung des Kultfilms „Blade Runner“, war ich nicht einfach bloß skeptisch, sondern schubladisierte das Projekt im Geiste in der Lade mit meinen alten Schulzeugnissen und Kindheitsfotos. Projektname: „Möchte man gar nicht wissen“. Noch dazu, da Scott zumindest mich mit den Fortsetzungen der „Alien“-Serie nicht gerade vom Hocker reißen konnte, allen voran dem reichlich vergurkten „Alien: Covenant“. Hoffnung schöpfte ich mit der Regie-Besetzung durch Denis Villeneuve, der 2016 mit „Arrival“ einen der intelligentesten Science-Fiction-Filme der letzten Jahre inszenierte, während Ridley Scott lediglich als Produzent fungierte.
Eine bessere Entscheidung hätte man gar nicht fällen können. Denn was Villeneuve mit „Blade Runner 2049“ auf die Leinwand zaubert, hat mit der grassierenden Sequelitis nicht das Geringste zu tun. Zwar lässt sich die Fortsetzung nur mit der Kenntnis des 1982er-Vorgängers gänzlich auskosten. Doch selbst als Stand-Alone-Film überzeugt der mit einer Länge von 164 Minuten nicht gerade auf Popcorn-Kino getrimmte Streifen.
Zu verdanken ist dies im Wesentlichen zwei Faktoren: Zum einen der Story, zum anderen der Optik. Wenngleich ich Riesenfan von Ridley Scotts „Blade Runner“ bin, steht außer Frage, dass die Story ziemlich dünn geraten ist und de facto lediglich als Aufhänger der visuellen Pracht und der dichten Atmosphäre dient. Völlig richtig wird der Film als futuristischer film noir bezeichnet. Allerdings fehlt Scotts Meisterwerk eine spannende Handlung, die in einem aufwühlenden Showdown mündete. Die Charaktere wie auch deren Konflikte werden gleich zu Beginn ausgebreitet und nicht weiter vertieft. Ganz anders hingegen „Blade Runner 2049“: Die erste Mission von K. wirft ein Rätsel auf, das beständig komplexer wird, ihn an verschiedene Orte führt und neue Charaktere in die Story einführt, deren Schicksale letztendlich untrennbar verknüpft sind – bis hin zum mehrfach überraschenden Ende, das wie schon der Vorgängerfilm zu Interpretationen einlädt.
Vielfach werden immer wieder interessante Fragen zur Moral oder zu den verschwimmenden Unterschieden zwischen Mensch und künstlich erschaffener Intelligenz aufgeworfen. Nun könnte man die teils überkandidelten Dialoge, respektive Monologe, kritisieren, Stichwort: „So redet doch in Wahrheit kein Mensch!“. Im Kontext eines kunstvoll ausgefeilten Films funktionieren sie aber.
Visuelle Pracht
Keine plumpe Nostalgie-Show
Apropos loben: Denis Villeneuve schafft es auch, beständig Referenzen an „Blade Runner“ einzubauen, ohne sein eigenes Werk wie eine Nostalgie-Show der Marke „Star Wars“ – wir müssen irgendwie Darth Vader ins Script schreiben, Laserschwertduelle sind Pflicht, und natürlich müssen genügend nostalgische Referenzen an die erste Trilogie erfolgen, damit die Fans laut rufen: „Hey, das kenne ich! Das ist aus „Das Imperium schlägt zurück“! - wirken zu lassen. Und da wir gerade bei „Star Wars“ sind: Harrison Fords beschämendes „Ich war ein Star! Holt mich hier raus!“-Cameo in „The Force awakens“, das ausschließlich als Fan-Bonbon verstanden werden kann, weicht in „Blade Runner 2049“ seinem besten Filmauftritt seit Langem, der zudem eine tragende Rolle spielt und würdevoll in Szene gesetzt wird, anstatt als Selbstparodie zu enden.
Fazit nach fast drei Stunden, die wie im Flug vergingen:
Mit „Blade Runner 2049“ gelang Denis Villeneuve ein weiterer Geniestreich, der gleichberechtigt mit Ridley Scotts Originalfilm genannt werden muss und in erzählerischer Hinsicht sogar klar überleben ist und weitaus mehr interessante Denkanstöße liefert. Fans von Philip K. Dick, auf dessen Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ Scotts „Blade Runner“ basierte, werden begeistert sein: Ohne direkten Bezug zu Dicks Werken atmet der Film die Essenz von Dicks philosophischem Unterbau der oberflächlich betrachtet skurrilen Science-Fiction-Geschichten. Dass das Publikum derlei Meisterwerke zugunsten der ewig gleichen Superdupergigahyperhelden-Klone ignoriert, erachte ich übrigens als kein Zeichen für die Abkehr meines offenbar doch wohlbegründeten Kulturpessimismus …
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