Nach ihm die Sintflut: "Noah" von Darren Aronofsky
Mit der mystisch verbrämten Bibelverfilmung "Noah" erntete Darren Aronofsky viel Kritik. Dabei bietet seine Version der Sintflut-Geschichte
mehr, als die meisten Kritiker zu erkennen glauben.
Darren Aronofsky ist kein Regisseur der unscheinbaren Stoffe. Ob Paranoia ("Pi"), düstere Drogenphantasmagorien ("Requiem for a Dream"), Selbstzerstörung
("The Wrestler") oder seelischen Missbrauch ("Black Swan"): Harmloses Popcorn-Kino scheint dem New Yorker ein Fremdwort zu sein. Folglich überrascht es nicht, dass sich seine Verfilmung der Sintflut-Geschichte
den Zwängen kommerzieller Überlegungen ebenso verwehrt, wie einer ekelhaften Anbiederung an den christlichen Mainstream.
Mit "Noah" erschuf Aronofsky einen ebenso verstörenden, wie visuell beeindruckenden Anti-Monumentalfilm,
dessen perfide Untertöne den meisten Kritikern verborgen blieben.
Wiewohl sich Regisseur Aronofsky in groben Zügen an die Bibel anlehnt, ist "Noah" weit davon entfernt, als Monumentalschinken der Marke "Die zehn Gebote"
in die Filmgeschichte einzugehen. Das Grundgerüst des vielleicht bekanntesten Mythos der Welt wird beibehalten – Gott erwählt den untadeligen Noah aus, seine Familie sowie zahlreiche Tiere vor der alles vernichtenden Sintflut
zu erretten – und phantasievoll um philosophische und existenzielle Elemente erweitert. Aronofsky belässt es nicht bei einer braven Nacherzählung des biblischen Stoffes, was zudem kaum genug Material für ein mehr als
zweistündiges Drama ergäben hätte. An Stelle einer pflichtbewussten Abarbeitung der gängigen Bibelmotive – Visionen vom Untergang, Bau der Arche, Sintflut, Errettung – tritt eine herausfordernde Neuinterpretation,
was naturgemäß für herbe Kritik sorgte, ausgelöst von etwas, das ich "Empörungskultur gewollter Missverständnisse" nennen und in 3 Akte unterteilen möchte.
Akt 1: "Noah" ist zu wenig bibelgetreu
Oder wie es der Vorsitzende der evangelischen Radio- und Fernsehsender in den USA ausdrückte: "historically inaccurate". Schließlich handelt es sich bei der Bibel mitnichten um die unzählige Male umgeschriebenen Nacherzählungen mündlich
weitergegebener Geschichten, das mit Geologie, Biologie oder Archäologie so viel zu tun hat wie Garfield-Cartoons mit einer akkuraten Darstellung von Hauskatzen. Dabei machte Aronofsky keinen Hehl daraus, dass er sich an
seine eigene Graphic-Novel-Version des Sintflut-Mythos orientierte, welche wiederum lose an die Bibel angelehnt ist.
Wer die vielen künstlerischen Freiheiten moniert, hat somit weder das Medium, noch das Wesen der Kunst selbst verstanden. Darstellende Kunst, und um eine
solche handelt es sich naturgemäß beim Film, ist die Zurschaustellung von Erzählsträngen. Den Garten Eden etwa mag sich in seiner Vorstellung jeder Zuhörer oder Leser anders vorstellen. In der Abbildung auf der großen
Leinwand oder dem kleineren Fernseher müssen den Worten Bilder folgen, die wiederum den Visionen des Regisseurs entsprungen sind.
Über eben jene bildliche Sprache lässt sich vortrefflich streiten, wie zuletzt insbesondere Mel Gibson mit seinem wie ein biblisches "Hostel"-Prequel erscheinenden
"Die Passion Christi" eindrucksvoll vorexerzierte. Während aber Gibsons Passionsspiele in christlichen Kreisen durchaus positives Echo erfuhr, wurde Aronofskys Noah-Adaption überwiegend verrissen und abgelehnt.
Obwohl in Gibsons Epos weitaus mehr Blut fließt und die Folterungen Jesus‘ in allen abscheulichen Details in Szene gesetzt wurden, rüttelte "Die Passion Christi" nicht am Mythos des Märtyrers, während "Noah"
sowohl seinen Protagonisten selbst, als auch die Zuschauer am Willen und an der Güte Gottes zweifeln lassen.
Ganz offensichtlich legte Aronofsky damit seinen Finger in die Wunde, denn: Wer glaubt, der zweifelt nicht; wer zweifelt, der kann nicht auf dem rechten Pfad Gottes sein. Oder
um mit Dieter Nuhrs subtiler Kritik an islamischen Selbstmordattentätern zu sprechen: "Wer zweifelt, der explodiert nicht."
Da sprach Gott zu Noah: Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen; denn die
Erde ist voll Frevels von ihnen; und siehe da, ich will sie verderben mit der Erde. Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech inwendig und auswendig. Und mache ihn also: Dreihundert
Ellen sei die Länge, fünfzig Ellen die Weite und dreißig Ellen die Höhe. Ein Fenster sollst du daran machen obenan, eine Elle groß. Die Tür sollst du mitten in seine Seite setzen. Und er soll drei Boden haben: einen
unten, den andern in der Mitte, den dritten in der Höhe.
Denn siehe, ich will eine Sintflut große Flut mit Wasser kommen lassen auf
Erden, zu verderben alles Fleisch, darin ein lebendiger Odem ist, unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.
(aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 6)
Gewiss lässt sich über die Freiheiten, die sich Aronofsky bei der Umsetzung des Bibelstoffes genommen hat, diskutieren. Allerdings erscheint es reichlich absurd, ihm eine angebliche
Tolkinisierung zu unterstellen. Wer sich etwa an der phantasievollen Transformation ehemaliger Engel in an die Erde gebundenen Steinriesen stößt, kann unmöglich einen Blick in die Bibel gewagt haben, das unbestreitbar einflussreichste
Fantasy-Buch aller Zeiten. Aronofsky spinnt lediglich den mythologischen Faden weiter und strickt mit heißer Nadel einen faszinierenden Bilderbogen, auch wenn ihm (fälschlicherweise) vegetarische Propaganda unterstellt wird.
Vorhang auf für Akt 2!
Trailer "Noah"
Akt 2: Aronofsky inszeniert mit "Noah" vegetarische Hippie-Propaganda
Auf den ersten Blick mag dieser Einwand etwas für sich haben. Eine der grundlegenden Trennlinien zwischen Noah und seiner Familie auf der einen sowie den "verderbten"
Nachfahren Kains auf der anderen Seite verläuft entlang Noahs Ablehnung der Zivilisation mit ihren Städten, ihren Sünden und insbesondere dem Töten und Verzehren von Tieren. Selbst das Blümchenpflücken behagt Noah nicht,
da seiner Ansicht nach eine Blume genau dorthin gehört, wo sie ihre Wurzeln geschlagen hat. Manche Rezipienten leiten daraus eine versponnene Öko-Agenda Aronofskys ab.
Kreuz (Bild: Pixabay.com)
Wie sich jedoch bereits zu Beginn herausstellt, hält sein Noah weder die andere Backe hin, noch ist er naiver Pazifist. Im Gegenteil: Seine im Laufe des Films getroffenen Entscheidungen
sind von pragmatischem Kalkül durchzogen, das er mit schonungsloser Härte für sich und seine Familie umsetzt. Gewohnt knorrig von Russel Crowe verkörpert, kennt dieser Noah nur eine Gnade: Jene göttliche, die jegliches
Leben auf Erden schuf und dieses wieder zu entreißen droht. Missionarischer Eifer ist bei Noah indes keiner zu erkennen.
Sicher: Der radikale Verzicht auf Fleisch erscheint selbst in unserer westlichen Gesellschaft als ungewöhnlich, und wie viel ausgeprägter mögen etwaige Ressentiments vor Jahrtausenden
gewirkt haben. Noah handelt jedoch aus der Einsicht heraus, dass jedes Leben heilig sei und in Gottes Hand liege, nicht in jener des moralisch verdorbenen Menschen.
Für einen gottesfürchtigen Mann, der noch dazu von Visionen geleitet ist, besteht somit kein Zweifel an seinen Überzeugungen. Weshalb auch, wenn Gott in diesen Visionen zu
ihm spricht und somit das Feuer des Eifers am Lodern hält, das letztendlich das Überleben sämtlicher Geschöpfe auf Gottes grüner Erde sichert. Schließlich hat nicht Noah Gott, sondern Gott Noah erwählt, und dies aus
dem nachvollziehbaren Grunde heraus, dass er ihm als der gerechteste Mensch erschien, der es verdient hatte zu überleben. Daraus nun Aronofsky spinatgrüne Propaganda zu unterstellen, ist absurd.
Akt 3: "Noah" ist der gescheiterte Versuch eines modernen Bibel-Monumentalfilms
Enttäuschte Erwartungen können sich auch als positiv erweisen. Wer dachte, Darren Aronofsky würde lediglich die Noah-Story Dank modernster CGI-Technik auf die Leinwand klatschen
und es dabei belassen, sieht sich eines Besseren belehrt. Wie eingangs erwähnt sind die bekannten Bibel-Elemente nach wie vor vorhanden, jedoch um einen besonderen Kniff bereichert: "Noah" erweist sich als veritables
Psychodrama mit überraschend tief reichenden Implikationen. Zugegeben: Die Entrückung einer mythischen Figur aus übermenschlichen Sphären in die normalsterbliche Mitte ist keineswegs neu und zugleich mit erheblichen Risiken
verbunden, wie zuletzt etwa Ridley Scott mit seiner spektakulär gescheiterten Robin-Hood-Adaption erfahren musste.
Bild: pixabay.com
Nur allzu leicht hätte Aronofsky Noah zum naiven, willenlosen Diener Gottes abstempeln können. Stattdessen verleiht er ihm eine für Bibelverfilmungen ungewöhnliche Persönlichkeit
und lässt seine Entscheidungen vor jedem konfliktbeladenen Hintergrund als rationale Interessensabwägung erscheinen, die selbst vor der völligen Vernichtung der Menschheit nicht hält. Denn: Hat es der ewige Sünder Mensch
verdient, die Erde erneut zu bevölkern und mit seiner scheußlichen alles von Gott Geschaffene mit seiner Verderbtheit zu zerstören und zu knechten? Es muss so sein – weshalb sonst hätte der Herr ihn, Noah, auserwählt,
das Überleben des Menschengeschlechts und der Landtiere zu sichern? Oder sah Gottes Plan lediglich das Überleben der Tiere vor, nicht jenes seiner schrecklichsten Schöpfung?
Obwohl Gott selbst an keiner Stelle direkt in Erscheinung tritt und lediglich sein mirakulöses Wirken ersichtlich wird (etwa, wenn binnen weniger Sekunden aus einem Baumsamen
ein riesiger Wald erwächst, dessen Holz die Grundlage der Arche bilden soll) – übrigens ein durchgehendes Motiv des jüngeren Kinos, ob es sich nun um Gibsons "Passion Christi" oder Petersens Hellenen-Helden-Epos
"Troja" handelt -, wird seine Existenz zwar nicht in Frage gestellt, sehr wohl jedoch seine Güte. Noahs formaler (und aus dem biblischen Zusammenhang gerissener) Antagonist Tubal-Kain (großartig in seiner ungestümen
Wildheit: Ray Winstone) merkt sehr richtig an: "Warum spricht Gott nicht zu mir?", als er vom Bau und Zweck der Arche erfährt. Aus welchem Holz das Riesenschiff und Noah geschnitzt sind, wird klar; wie es diesbezüglich
mit Gott bestellt ist, bleibt im Dunkeln, womit das alte Dilemma greift: Warum spricht Er nur zu Auserwählten? Eine Antwort auf diese Frage kann zwar auch Aronofsky nicht liefern, aber dies erweist sich als unnötig angesichts
des um sich greifenden Wahnsinns der Menschen, die seit der Verbannung aus dem Paradies (visuell bestechend umgesetzt) den Himmel auf Erden ins Gegenteil verkehren.
Angesichts der berauschenden Bilderwelten auf der einen sowie der menschlichen Konflikte auf der anderen Seite, gerät die Sintflut selbst fast schon in den Hintergrund. Für
viele Kritiker wohl verstörend, wird der formale Höhepunkt in überraschender Kürze abgehandelt. Anstatt sich sattsam an der Apokalypse zu weiden und alle Register aus der Katastrophenfilmschublade zu ziehen, halten sich
Kamera und Regisseur Aronofsky zurück und rücken konsequent Noahs Kampf ums Überleben seiner Familie in den visuellen, wie auch erzählerischen Fokus. Ein Kampf übrigens, der selbst nach der Flut nicht ausgestanden sein
soll …
Fazit: Aronofskys "Noah" ist ein grandioses, ungewöhnliches Leinwandepos
Man durfte und musste skeptisch sein, was ein Darren Aronofsky aus dem wohl berühmtesten Mythos der Menschheitsgeschichte formen mochte. Das Ergebnis überzeugt aber vollends:
"Noah" entpuppt sich als spannendes Untergangskino, welches zahlreiche interessante Fragen aufwirft, ohne dem Zuschauer die Antworten mit dem Silberlöffel zu füttern. Provokanter wurde bislang wohl noch kein anderer
Bibelstoff umgesetzt, noch dazu mit einem Budget, das normalerweise einem generischen Superduperheldenfilm zustünde.
Die fast ausnahmslos geglückte Besetzung mit einem zwischen bärbeißig und Glückskekssprüche salbadernd positionierten Russel Crowe, Jennifer Connelly als dessen Frau Naama,
Emma Watson als Adoptivtochter Ila und einem leicht unterforderten Anthony Hopkins in der Rolle des Methusalem, trägt das ihre zum Seh- und Denkvergnügen bei. Was Ridley Scott mit seinem "Robin Hood" verabsäumte,
gelingt Aronofsky mühelos: Genau so entstaubt man einen Mythos, ohne ihn zu entmannen oder bis in die Belanglosigkeit zu verkitschen.
Wer sich selbst davon überzeugen möchte: "Noah" gibt es auch bei Amazon Video
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