Spätestens seit dem Schwarzenegger-Vehikel „Total Recall“ gelten die Romane und Kurzgeschichten von Philip K. Dick als kassenschlagerträchtiges Material. Kein Wunder also,
dass nicht nur Hollywood, sondern auch TV-Sender und Streaming-Dienste wie Amazon Video nach Geschichten des 1982 verstorbenen Science-Fiction-Autors lechzen. Praktischerweise hinterließ Dick mit weit über 100 Kurzgeschichten
und mehr als 40 Romanen ein enorm umfangreiches literarisches Erbe, das selbst Jahrzehnte nach seinem Tod noch nicht vollständig geplündert wurde.
Mit der zunächst zehnteiligen Anthologien-Serie „Philip K. Dick’s Electric Dreams“ startet der englische Sender Channel 4 den nächsten Versuch, mit dem längst im Mainstream
und in der Populär-Kultur fix verankerten Autor einen Knüller zu landen. Seit Jänner 2018 ist die Serie auch auf Amazon Video erhältlich, für Amazon-Prime-Kunden derzeit sogar kostenlos.
Ist das Experiment einer Science-Fiction-Anthologie-Serie, analog zum Kritiker- und Zuschauer-Hit „Black Mirror“ gelungen?
Träume von Gestern fürs verwöhnte Publikum von Heute
Der Titel ist natürlich Programm: Denkt man an Philip K. Dick, fällt unweigerlich das Stichwort „Blade Runner“. Ridley Scotts ursprünglich
von Kritik und Publikum verschmähtes Meisterwerk basierte auf dem Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“, weshalb sich jeder Möchtegern-Kulturschnösel für unheimlich clever
und ironisch hält, den Verweis auf die elektronischen Schafe irgendwie in seinen Texte oder in Gesprächen unterzubringen. Es dürfte deshalb nicht verwundern, wenn wahre Fans des Autors bei solchen vermeintlich originellen
Anspielungen nur noch mit den Augen rollen. Darüber sei hinweggesehen, soll doch die Qualität der einzelnen Folgen für sich sprechen.
Die Auswahl der Kurzgeschichten kann als durchaus gelungen bezeichnet werden. Sie bieten einen guten Querschnitt der wichtigsten Dick-Themen – was ist Realität? Was unterscheidet
Menschen von künstlichen oder außerirdischen Lebensformen? – für Einsteiger in die von Drogen und Amphetaminen umnebelte, halb philosophische, halb skurril-satirische Welt Philip K. Dicks.
Allzu hoher budgetärer Aufwand wurde augenscheinlich nicht betrieben, die Spezialeffekte entsprechen aber dem derzeitigen Standard. In Punkto Schauspieler kann die Serie mit einigen bekannten Charakterdarstellern punkten, wie Steve Buscemi, Bryan Cranston, Geraldine Chaplin oder Anna Paquin. Jede der knapp 50 Minuten dauernden Episoden ist in sich abgeschlossen.
Das grundlegende Problem von „Philip K. Dick’s Electric Dreams“ liegt indes nicht im Budget oder den größtenteils tadellosen Darstellerleistungen, sondern in den bereits sattsam bekannten Motiven. Wenn etwa ein Mensch offenbar durch einen nichtmenschlichen Doppelgänger ersetzt wurde, erinnert dies unweigerlich an das alle paar Jahrzehnte neu verfilmte „Körperfresser“-Motiv. Dabei gerät der Umstand, dass Dick „seine“ Version bereits 1953 schrieb, in den Hintergrund und erzeugt in Zuschauern, die sich dessen nicht bewusst sind, den Eindruck, lediglich einen neuen „Körperfresser“-Klon gesehen zu haben.
Brav statt mutig: Philip K. Dick’s Electric Dreams
Tatsächlich aber bot Dick einen Fundus an Ideen und Konzepten, die später von anderen Autoren oder Filmemachern aufgegriffen wurden. Wer sich durchs umfangreiche Oeuvre Dicks
gewühlt hat, kann gar nicht mehr anders, als in Science-Fiction-Filmen wie „Matrix“ die mehr oder weniger direkt übernommenen Ideen zu erkennen. Durch nostalgisch verklärte SF-Brillen betrachtet ist „Philip K. Dick’s
Electric Dreams“ eine Verbeugung vor dem immer noch viel zu wenig gewürdigten Autoren-Genie. Allerdings nicht allzu tief: Hierfür weichen die einzelnen Episoden teils zu stark von den Vorlagen ab. Sex-Szenen wie in der
Episode „Menschlich ist“ entsprechen natürlich dem aktuellen Zeitgeist, werden der Vorlage aber nicht gerecht, genauso wenig wie die jeweiligen Überspitzungen der Figuren und Situationen, was ein weiteres Dilemma eröffnet:
Dicks Geschichten sind aus technologischer und gesellschaftlicher Sicht heillos veraltet. Da verrichten in Androiden noch Zahnräder ihr Werk und warten brave Hausfrauen die Fenster putzend auf die Rückkehr ihres Mannes von
der Kriegsfront tausend Lichtjahre entfernt.
Heute natürlich undenkbar und deshalb auf Biegen und Brechen modernisiert, verlieren die Geschichten ihren Retro-Charme und reduzieren die Episoden auf gediegenes TV-Niveau.
Keineswegs soll der Stab über die Serie gebrochen werden: Sie bieten ansprechende Unterhaltungen, auch wenn einzelne Folgen künstlich in die Länge gezogen wirken. Bisweilen lässt sich der geniale Geist hinter den Geschichten
noch erkennen und Episoden wie „Der Pendler“ stechen mit ihrem satirischen Unterton und dem subtilen Humor heraus. Mutiger wäre es aber gewesen, Dicks Geschichten eingedenk ihrer 1950er-Jahre-Atmosphäre zu adaptieren,
anstatt sie auf modern zu trimmen. Wie man einen nach moderner Lesart angestaubten Klassiker frech auf den Punkt bringt, exerzierte Paul Verhoeven mit seinem umstrittenen, da politisch unkorrekten Geniestreich „Starship
Troopers“ vor: Ohne Rücksichtnahme auf dauerbeleidigte Berufsempörte, „unsere besondere Verantwortung auf Grund unserer Vergangenheit“ © oder aktuelle Zeitgeistlosigkeiten, inszenierte der Niederländer einen herrlich
patzigen Kommentar auf verlogene Geschichtsklitterung und Gutmenschenwahn.
„Philip K. Dick’s Electric Dreams“ hingegen ist hervorragende Unterhaltung. Nicht weniger, aber leider auch nicht mehr. Dabei wäre so viel Mehr möglich gewesen, nämlich ein Einblick in die von Phantasie strotzende schrullige Welt eines Autors, der der Science Fiction kräftiger als jeder andere Literat seinen Stempel aufdrückte.
Seine Kurzgeschichte „Menschlich ist“ kommentierend merkte Dick an, dass Freundlichkeit für ihn typisch menschlich sei und uns deshalb beispielsweise von Steinen unterscheide.
Die gleichermaßen zynische, wie menschliche Pointe des – wieder einmal – Doppelgänger-Motivs eines Außerirdischen, der sich als Mensch ausgibt, wird in der verfilmten Episode zugunsten einer klinisch sauberen Auflösung
verschenkt. Wäre man konsequent der Vorlage gefolgt, hätte diese dem Zuschauer nicht nur eine tatsächlich dreckige Pointe beschert, sondern für Gesprächsstoff über das Ende hinaus gesorgt. Aber leider: Der Mut, den etwa
Amazon mit seiner ebenfalls auf Dick basierenden Serie „Das Orakel vom Berge“ zeigt, wurde wie mittlerweile üblich einem „bloß nirgends anecken!“-Credo geopfert.
Aus reiner Unterhaltungssicht kann man „Philip K. Dick’s Electric Dreams“ als gelungene Zerstreuung bezeichnen. Wer jedoch die Vorlagen sowie die weiteren Werke Dicks kennt,
wird enttäuscht sein ob der jede Ecke ausbügelnden Mainstreamifizierung. Selber lesen und Dick entdecken, macht einfach immer noch am meisten Spaß. Aber Obacht: Menschlich ist, sich nicht mit ein paar Geschichten des großartigen
Science-Fiction-Genies zufrieden zu geben, sondern das gesamte Werk erforschen zu wollen …
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen