Seit ich irgendwann Mitte der 1980er Jahre erstmals „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (off topic: Vielen Dank für diesen überaus wertvollen deutschen Titel! Andernfalls könnten potenzielle Zuseher nach Angucken des Trailers auf die Idee kommen, es handle sich um eine orientalische RomCom) sehen durfte, war es um mich geschehen: Ich hatte mich in diesen Film und den visuellen Stil von Ridley Scott verliebt. So sehr ich das Sequel „Aliens – Die Rückkehr“ (abermals danke für den originellen deutschen Zusatztitel) schätze, bleibt der erste „Alien“-Teil doch unerreicht, was Atmosphäre, Spannung, Ausstattung und natürlich das unverkennbare Monster-Design betrifft.
Einer der für mich wichtigsten Aspekte des Kassenschlagers aus 1979 ist insbesondere das Mysterium rund um das Wesen selbst. Anders als in so gut wie allen anderen Genreproduktionen bleibt die Herkunft des Monsters im Dunkeln: Woher kommt es ursprünglich? Ist es lediglich ein von animalischem Instinkt getriebenes Tier mit rudimentärer Intelligenz oder ist es vielleicht gar ein hochintelligentes Wesen? Wer diese Überlegung für albern hält, möge sich vor Augen halten, dass in einem nicht umgesetzten Drehbuchentwurf das Xenomorph schlussendlich sämtliche Nostromo-Crew-Mitglieder tötet und einen Funkspruch mit Ripleys nachgeahmter Stimme absetzt. Doch auch in der finalen Filmversion wird rasch klar, dass wir es mit keinem stupiden Monster zu tun haben: Es versteckt sich, bewegt sich geschickt durch die Luftschächte, schlägt blitzschnell zu und zeigt insbesondere im Showdown ganz klare Anzeichen hoher Intelligenz.
Philosofies Welt
Warum ich all dies anführe? Ganz einfach: Seit sich Ridley Scott erneut jener Filmreihe annahm, die ihn berühmt machte, verschob sich der Fokus der „Alien“-Filme vom schweißtreibenden Thriller hin zur auf Hochglanz polierten Science-Fiction-Pseudo-Philosophie. In homöopathischen Dosen serviert, bereichern existenzielle Fragen nach dem Ursprung der Menschheit oder dem Verhältnis eines Androiden zu seinen Schöpfern einen Film, gewiss. Augen- und ohrenscheinlich trägt Ridley Scott die Idée fixe schwanger, nicht einfach unterhaltsame, spannende Science-Fiction-Filme mit allerlei eye candy zu produzieren, nein, vielmehr scheint er sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst geworden zu sein und in einen Panikmodus der Marke: „Ich will der Nachwelt ein Denkmal hinterlassen!“ zu verfallen. Sprich: Es genügt ihm nicht, mit „Alien“ und „Blade Runner“ zwei Kultfilme für die menschliche Ewigkeit zu hinterlassen. Er muss seine eigenen Kreationen philosophisch überfrachten, um Raum für Spekulationen zu lassen und anerkennendes John-Lennon-Gedächtnisbrille zurecht rücken und Kopfnicken seitens der Kritiker zu ernten. Ich möchte dies das Stephen-King-Phänomen nennen: „Hey, Leute, es ist ja schön, dass ihr meine Werke liebt, aber ich bin ein echter Künstler, und deshalb werde ich nicht mehr das tun, was ich besten kann, nämlich spannende Pageturner zu schreiben, sondern ich werde der Welt beweisen, in einer Reihe mit Hemingway zu stehen.“
Dabei könnte alles so schön sein: Üppiges Budget, Facehugger, Alien-Eier, düsteres Setting, Michael Fassbender im Doppelpack. Die erste Szene verspricht Vieles, das später in etwa mit demselben Ernst gehalten wird wie Klein-Susis Versprechen, pünktlich um 9 von der Party zu Hause zu sein und keinen Tropfen Alkohol zu trinken, der schmeckt ihr ja nicht mal, pfui! In jener Szene bespricht Android Walter (Michael Fassbender zum ersten) mit seinem „Schöpfer“ Peter Weyland (Guy Pearce) existenzielle Fragen: Wenn ich deine Schöpfung bin, wer hat dich erschaffen? Ist es nicht seltsam, dass ich dich, meinen Schöpfer, überleben werde? Wohin werde ich mich entwickeln? Zumindest letztere Frage kann ihm Weyland beantworten, indem er ihm aufträgt, eine Tasse Tee zu servieren. Ach, hätte er ihn wenigstens nach draußen zum Baumwolle pflücken beordert, was für ein schöner Empörungsreigen hätte sich ergeben!
Der doppelte Fassbender
Danach folgt Altbekanntes neu aufgewärmt: Das von Walter gesteuerte Kolonisationsschiff Covenant (welch‘ subtile Anspielung auf die Bibel) wird von den Wellen einer Neutronensternexplosion getroffen, die die Sonnensegel schwer beschädigt. Tja, mit guter alter Atomenergie wäre das nicht passiert, werte Solarzellenzottel und Windparkbetonierer! Dabei geht Kapitän Branson (James Franco im kürzesten Cameo der Filmgeschichte) drauf. Die schlechte Nachricht: Das Raumschiff mit seinen zweitausend selig im Hyperschlaf schlummernden Migranten befindet sich noch sieben Jahre vom Zielort entfernt. Die gute Nachricht: Der Bordcomputer empfängt ein menschliches Notsignal, das von einem erdähnlichen Planeten gleich ums galaktische Eck (in Internet-Sprache: Willige Hausfrau aus deiner Nähe) stammt. Der designierte Kapitän Oram (Billy Crudup) entscheidet, den Kurs umzuleiten und diesen bislang nirgends verzeichneten Planeten anzusteuern. Der auf die Planetenoberfläche entsandte Erforschungstrupp stößt zunächst auf immigrationskritische Aliens, später auf den Walter wie aus dem Plastik geschnittenen Androiden David (Michael Fassbender zum zweiten).
Es kommt, wie es kommen muss: Die Kolonisten können die Spannungen mit den zunächst feindlich gesinnten Alien-Kreaturen am Lagerfeuer mit dem Singen von Bob-Dylan-Songs und reichlich Marshmallows ausräumen und alle leben glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
Eier! Wir brauchen Alien-Eier!
Bild: Alien-Monster (pixabay.com) |
Möglicherweise entspricht der letzte Satz nicht ganz den Geschehnissen auf der Leinwand. Ich habe aus der Erinnerung rezitiert, also ein Gedächtnis-Protokoll, wie es in Fake-Dokus heißt, wenn sich Redakteure unheimlich schlau vorkommen, indem sie den Antagonisten (Autohändler, Internet-Betrüger, Ostdeutsche, etc.) etwas in den Mund legen wollen, um die fade Handlung zu würzen. Faktisch läuft „Alien: Covenant“ auf eine „Alien“-Gedächtnis-Revue hinaus, mit der jedoch zwanghaft der Bogen zu „Prometheus“ geschlagen werden soll. Wohl nicht zufällig erinnert Protagonistin Daniels (Katherine Waterston) in einigen Szenen sehr deutlich an Ripley und die Aliens ähneln im Gegensatz zu „Prometheus“ den aus der „Alien“-Reihe bekannten Kreaturen. Dennoch haben sich dramatische Änderungen vollzogen, die weder Fisch, noch Fleisch sind. Die inzwischen geradezu legendären Alien-Eier sind wieder mit von der Partie, ebenso wie der Facehugger. Dafür wurde der Chestburster ad acta gelegt, da der Gebärprozess völlig anders als gewohnt abläuft. Sagen wir mal so: Wer von UFOs entführt und nach einer Analprobe zurückgebracht wurde, hat keinen Grund sich zu beschweren.
Grund zur Beschwerde haben vielmehr Fans der ersten beiden Alien-Filme. Ein bisschen fühlt sich „Alien: Covenant“ wie ein „Alien“-Reboot an, allerdings mit der Eleganz einer ins Gesicht geschmissenen Zement-Torte serviert. Der Ridley-Scott-typische visuelle Stil tröstet über die erschütternd banale Handlung hinweg. Ja, gewiss, „Alien“ war genau betrachtet lediglich eine Zehn-Kleine-Negerleindarfmannichtmehrsagen-Variation im Weltraum. Seine Spannung bezog der Film aus der Dynamik zwischen der Crew und dem Monster: Gerade weil sich die Kreatur kaum zeigt und in ihrem Aussehen und Verhalten so völlig fremdartig ist, wissen die Besatzungsmitglieder nicht, wie sie mit der Bedrohung umgehen sollten. In Kombination mit den engen Korridoren ergibt sich die hoffnungslose Situation, auf einem kleinen Raumschiff mit einem schier übermächtigen Monster gefangen zu sein. Einem Monster, das erstmals nach etwa der Hälfte der Laufzeit auftaucht. Dieser Spannungsaufbau fehlt „Alien: Covenant“ völlig: Wie in den zu Recht von Kritikern zerpflückten „Alien vs. Predator“-Travestien klatscht Ridley Scott viel zu früh in aller CGI-Pracht die Aliens auf die Leinwand, ganz nach dem Motto: „Hier habt ihr, das wollt ihr doch sehen, oder etwa nicht?“
Und wie wir das sehen wollen. Aber mit Gefühl für Spannungsaufbau und Dramatik verbunden. In einer Rotlicht-Bar zeigt sich die Striptease-Tänzerin ja auch nicht sofort nackt auf der Bühne, dreht sich ein paarmal um die eigene Achse, sammelt das Geld ein und geht dann wieder nach Hause. Ohne den Akteuren die Chance zur Charakterbildung zu geben, werden diese von den Aliens weggeputzt. Sympathien für die Charaktere können auf diese Weise natürlich nicht entstehen. Stattdessen wird auf den billigen „mein Ehemann/meine Ehefrau ist gerade gestorben“- Effekt gesetzt, was bei einem dermaßen renommierten Regisseur wie Ridley Scott einigermaßen erstaunt. Rückblickend betrachtet kann man die Entscheidung von 20th Century Fox nur bedauern, nicht wie geplant Neill Blomkamp mit „Alien 5“ zu betrauen, hätte dieser doch mit Sicherheit frisches Blut – no pun intended – in die mittlerweile wie ihr eigenes spin off wirkende Serie bringen können.
Der Reiz des Unbekannten – und der Unreiz des Enthüllten
Bild: Pixabay.com |
Der Space Jockey in „Alien“ ist
Teil dieses Unbekannten, ebenso wie die Eier an Bord des außerirdischen Raumschiffs, der Facehugger, der Chestburster und schließlich das ausgewachsene Alien selbst. So lustvoll es ist, im Kopf über die Hintergründe oder
Ursprünge zu sinnieren: Das Unbekannte im Dunkeln zu belassen ist weitaus effektiver, als nüchterne Erklärungen abzuliefern. Schon gar nicht halbseidene Erklärungen mit wirren religiösen Untertönen, die im Nirgendwo
versanden. Da zweifelt etwa der Neo-Kapitän daran, von der Crew auf Grund seines Glaubens ernstgenommen zu werden. Relevanz für den weiteren Plot? Null. Das ist ungefähr dermaßen relevant, als würde der amerikanische
Präsident bei der Ansprache zur Lage der Nation die aktuellen Ergebnisse der NBA verlesen.
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Nun ging Ridley Scott immer schon der visuelle Stil über die Substanz seiner Filme, und ganz ehrlich: Filmfans wie ich lieben ihn dafür. Ich kann nachvollziehen, wieso viele Leute „Blade Runner“ nach zehn Minuten abschalten oder darüber einschlafen. „Blade Runner“ lebt von seiner dichten Atmosphäre und dem grandiosen Vangelis-Score. Im Fall von „Alien“ goss Scott sein style-over-substance in eine Horrorform, tat mit dem Engagement von H. R. Giger einen Glücksgriff und schuf somit einen der wenigen zeitlosen Horror- und Science-Fiction-Filme. Seinen superben Stil und sein Auge für herausragende Bilder hat er nicht verloren – leider mangelt es „Alien: Covenant“ an einer halbwegs interessanten Story.
Über all die logischen Ungereimtheiten und idiotischen Charakter-Entscheidungen (lasst
uns alle dem unheimlichen Mann folgen, der sich wie ein Serienkiller benimmt und in einem von tausenden Leichen gesäumten Gebäude lebt) könnte man ja hinwegsehen, wäre die Story ansatzweise spannend. Ist leider nicht,
weshalb man sich automatisch mit den logischen Ungereimtheiten und idiotischen Charakter-Entscheidungen befasst.
Keinesfalls möchte ich in den hysterischen „Das hier ist der schlechteste Film aller Zeiten! Folgt mir auf Twitter und gebt mir ein Daumen hoch
auf Facebook!“-Chor einstimmen. „Alien: Covenant“ ist ein schön bebilderter Horrorfilm mit bekannten Motiven und einer Überdosis CGI, dem man als Genre-Fan einen entspannten Abend widmen kann.
Von Ridley Scotts Rückkehr zur „Alien“-Serie hätte man sich aber doch weitaus mehr erwartet als ein „na ja, kann man sich mal angucken und gleich wieder vergessen“-Wegwerf-Produkt erwartet.
Sein selbst erschaffenes Denkmal könnte Scott nicht einmal mit „Sharknado vs. Aliens“ beschädigen. Zu nachhaltig sind einige seiner Filme längst im kulturellen Gedächtnis verankert. Den nächsten „Alien“-Film möge aber bitte wieder ein Regisseur mit Visionen übernehmen, wie gut vier Jahrzehnte zuvor ein gewisser Ridley Scott.
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