Kritik zu Jumanji: Willkommen im Dschungelcamp der Selfie-Stick-im-Arsch-Generation


Vier Teenager finden sich in einer Videospiel-Adaption von „Jumanji“ wieder, allerdings nicht als sie selbst, sondern als klischeehafte Avatare. Klingt nach einer lustigen Möglichkeit, das Videospiel-Genre durch den Kakao zu ziehen, schmeckt aber leider nach abgestandener Plörre für die Selfie-Generation.

„The Rock“ als Avatar? Wie wunderbar! *Ironie*

Wer in den frühen 80ern seine ersten Pickel ernten durfte, wird sich an John Hughes‘ eine ganze Generation prägendes Epos „The Breakfast Club“ erinnern: Fünf Teenager, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sehen sich zum Nachsitzen gezwungen und entwickeln nach Anlaufschwierigkeiten Freund- und Liebschaften untereinander. Im Zuge der 80er Nostalgiewelle („Stranger Things“ etwa, oder das völlig überflüssig aus den 1950ern in die 1980er verlagerte „It“-Remake“) mischt Regisseur Jake Kasdan sein „Jumanji“-Remake mit dem Teenager-Drama-Subgenre vergangener Tage neu ab und peppt es mit zahlreichen zeitgeistigen Anspielungen auf.



In diesem Fall: Der überängstliche, unsportliche Nerd Spencer (Alex Wolff), Sport-Ass Anthony (Ser'Darius Blain), Social-Media-Selbstdarstellerin Bethany (Madison Iseman) sowie das schüchterne Mauerblümchen Martha (Morgan Turner) werden allesamt zum Nachsitzen verdonnert. Um sich die Zeit zu vertreiben, stöbern sie im schulüblichen Entdecker-O-Drom herum und stoßen auf eine Videokonsole, in dem sich das Adventuregame „Jumanji“ befindet. Nachdem sie sich der Reihe nach für jeweils einen Avatar entschieden haben, saugt sie das Spiel schneller in seine Spielewelt ein, als ein Grünen-Politiker in einer harmlosen Diskussion zu einem harmlosen Thema „das ist rechtsrechte Hetze!“ brüllen kann.


Neben dem Umstand, plötzlich in einer Dschungellandschaft gelandet zu sein, müssen die vier Teenager erkennen, dass sie nicht mehr ihre eigenen Körper besitzen, sondern sich in den zuvor ausgewählten Avataren zu befinden. Das ist gut für Spencer, der im mächtigen Körper des „Jumanji“-Helden Dr. Smolder Bravestone (Dwayne Johnson) erwacht, ebenso wie fürs graue Mäuschen Martha, die es mit dem attraktiven und sportlichen Körper von Ruby Roundhouse (Karen Gillan) gut erwischte. Anthony hingegen muss in den Avatar des kleinen und unsportlichen Moose Finbar (Kevin Hart) schlüpfen – und hat es damit immer noch besser als das eitle Blondchen Bethany getroffen: Die wird nämlich von Shelly Oberon (Jack Black) verkörpert, einem alles andere als schlanken Mann.


Noch ehe sie den Schock des Körpertauschs (übrigens ein weiteres beliebtes Subgenre der 80er-Jahre) verdaut haben, wird Bethany, vulgo Shelly, von einem Nilpferd verdaut. Glück im Unfrühstück: Da sie sich in einem Videospiel befinden, erhalten die Teenager jeweils drei Leben, mit denen sie allerdings sparsam umgehen sollten. Denn der Weg zum Spielziel und damit einem möglichen Entkommen aus der Spielewelt ist mit allerlei Gefahren gepflastert …


Einen Level „Uncharted“ mit Pipi-Humor, bitte!

… sowie mit praktisch völlig verschenktem Potenzial, eine köstliche Adventuregame-Parodie aus den bekannten Versatzstücken zu zimmern. Die holzschnittartig konstruierten Charaktere – geschenkt. Das auch nicht gerade rasend originelle Szenario, sich in einer Computerspiele-Welt wiederzufinden – gibt´s als kostenlose Draufgabe zum Geschenk. Als großer Fan der „Uncharted“-Reihe war der Rezensent natürlich äußerst gespannt, ob „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ die Kurve zwischen Zielgruppenfixierung (männlicher Nerd und/oder Nostalgiker) und augenzwinkernder Satire kratzen würde. Insbesondere stach ihm – dem Rezensenten, also mir, der gerne von sich selbst in der dritten Person spricht und schreibt, weil er ein verdammter Hipster ist – ein Poster von „Uncharted 4: A Thief's End“ ins Auge, das im Zimmer des Nerds Spencer prominent platziert war.


Weiteres Potenzial lag in der Idee, Dwayne „The Rock“ Johnson und Jack Black völlig wider ihre üblichen Darstellungen zu besetzen, indem Action-Haudrauf Johnson ein ängstliches Bürschchen und Comedy-Ass Jack Black ein Teenie-Mädchen gibt. Bloß weiß Jake Kasdan mit dieser Prämisse wenig anzufangen, weshalb es auch nicht verwundert, dass – typisch für halbgare Comedy – unablässig auf dieser herumgekaspert wird. 


Anfangs kann man ja auch tatsächlich noch über Jack Blacks feminines Auftreten lachen, was jedoch rasch durch Brachialhumor der Marke: „Ich bin jetzt ein Kerl, heißt das, ich habe da unten …?“-in den Boden geholzhammert wird. Apropos Verwunderung: Ebenso wenig dürfen natürlich die zu erwartenden Homophobie-Aufschreie der Berufs-Empörten wundern. Wer seine ganze Existenz darauf errichtet, sich unablässig in der vermeintlichen Opfer-Rolle zu suhlen und im ebenso paranoiden, wie egomanischen Wahn lebt, jede Geste, jede Aussage, jedes Tun der Mitmenschen sei auf die Erniedrigung und Diskriminierung der Daueropfer ausgelegt, darf sich zumindest über ein bisschen mediale Aufmerksamkeit freuen.


Und ja, das Wort „Pipi“-Humor ist ernsthaft gemeint, und zwar leider nicht als Anspielung auf anarchistische schwedische Gören mit Zöpfchen (ein klassisches Phallus-Symbol, das unschuldigen Mädchen bereits in ihren MädchInnen-Jahren den ihnen vom brutalen Police-state-Patriarchat zugewiesenen Platz als Bürgerin fünfter Klasse zuweist, sodass ihnen nur die einengende Berufswahl zwischen Hausfrau, Kindermacherin, Friseurin, Feministin oder Staatsoberhaupt bleibt), sondern im Wortsinne. Ohne Spoilern zu wollen: Wer sich von jugendfreien Filmen der Gegenwart den Verzicht von Fäkalhumor erhofft, gehört offenbar zum alten Eisen.



Man verstehe den Rezensenten nicht falsch, sofern man ihn nach fünf Bier überhaupt noch verstehen sollte: Die „Uncharted“-Spiele sind nicht gerade Kinder von Traurigkeit und weisen durchaus ihren Anteil an nicht ganz jugendfreien, da an ein älteres Publikum gerichteten Witzen auf. Diese sind aber tatsächlich witzig und nicht das Allererste, das einem zum Thema Körpertausch (hey, RTL, wann nimmst du den „Körpertausch“ ins Programm?) einfällt.


Witzlos - Ein Blockbuster vom Reißbrett

Warum ich darauf herumtrample? Weil „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ für eine vermeintliche Action-Komödie, die sich über Computerspiele und Nerd-Kultur im Allgemeinen lustig machen will, nicht nur erstaunlich witzlos, sondern darüber hinaus einfallslos rüberkommt. Ein paar der üblichen Adventure-Game-Trophäen wie ohne Rücksicht auf eigene Verluste angreifende Gegnermassen, die unnötig sexy gekleidete Heldin (Lara Croft, Chloe Frazer in den „Uncharted“-Games), spezielle Fähigkeiten der jeweiligen Figuren oder die stupide ihre vorprogrammierten Dialogzeilen abarbeitenden Nebenfiguren sind enthalten. Für einen sündteuren Action-Fantasy-Kracher mangelt es dem Film jedoch gleichermaßen an fantasievollen Monstern, Gefahren oder Schurken, wie auch an schweißtreibenden Actionsequenzen. Überhaupt wirkt der Streifen über weite Strecken hinweg wie ein Fernsehfilm, was gerade angesichts des parodierten Computerspiel-Genres paradox ist. Selbst der erste „Indiana Jones“-Teil aus 1980 weist mehr oder bessere Action auf, ganz zu schweigen von atemberaubenden Spielsequenzen aus „Uncharted“ wie einer Sequenz, in welcher der Held Nathan Drake während einer Zugfahrt bewaffnete Gegner erledigen und aufpassen muss, nicht aus dem Waggon zu kippen, schließlich sogar einen Kampf gegen einen Raketen abfeuernden Helikopter zu bewältigen hat und gerade noch explodierenden Waggons entkommen kann. Diese kräftezehrende Zugfahrt führt dabei durch Dschungellandschaften, über Flüsse und schließlich ins Bergland. „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ hingegen zeichnet stets denselben fast durchwegs unbelebten Dschungel.


Abwechslung wird in diesem Film nicht klein, sondern gar nicht geschrieben. Wo bleibt das abenteuerliche, das fantasievolle, das aufregende, das „Uncharted“ & Co dermaßen populär macht? Selbst die Kameraführung erinnert ans TV-Format. Langweiliger und biederer kann man einen solchen Film kaum noch in Szene setzen. Nun könnte man anmerken, dass „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ an seinem eigenen Anspruch scheitert. Allerdings hat der Streifen keinerlei Ansprüche außer jenen, sich ans sorgsam erforschte Zielpublikum anzubiedern und es bloß nicht mit einem interessanten, womöglich gar überraschenden Plot zu erschrecken. Es ist ein weiterer am Reißbrett entstandener Blockbuster, bei dem nicht die Entwicklung einer halbwegs interessanten Handlung, sondern die Marktforschung im Mittelpunkt stand, also: Was ist gerade angesagt? Was liegt voll im zeitgeistigen Trend? Wie ticken die jungen Leute der Gegenwart und worüber lachen sie? Interessant ist dieser Film höchstens im historischen Kontext: In 30, 40 Jahren wird man auf solche Streifen zurückblicken und sich köstlich darüber amüsieren, auf welche simple Weise damals das Publikum unterhalten wurde, ähnlich wie wir heute über belanglose, billige Western der 1950er-Jahre lachen.



Natürlich gibt das Einspielergebnis den Produzenten recht: Eine Milliarde Dollar muss man erst einmal an den Kassen einspielen. Einem Cineasten wie dem Rezensenten blutet indes das Herz, wenn derlei uninspirierte, aalglatte Stangenware unfassbar viel Geld einspielt, während erzählerische und visuelle Meisterwerke wie „Blade Runner 2049“ an den Kinokassen verenden, was das Ergebnis zeitigen wird, dass Studios künftig eben keine riskanten Projekte mehr finanzieren, sondern ausschließlich auf nahezu sichere Blockbuster setzen werden. So gesehen ist „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ ein schönes Sinnbild des Kinos im 21. Jahrhunderts: Monokultur statt der propagierten Vielfalt. Ironischerweise entwickeln im Gegensatz hierzu Computerspiele die komplexeren, unterhaltsameren Geschichten, die man früher im Kino genossen hätte. Es nimmt deshalb auch nicht Wunder, dass die seit Jahren angekündigte „Uncharted“-Adaption für die Leinwand keine Fahrt aufnimmt. „Uncharted“ eignet sich mit seinen zahlreichen Schauplätzen, ausschweifenden Actionszenen, Plot-Twists und vor allem den nicht immer jugendfreien Witzen nicht für die Leinwand. Es sei denn, als radikal entschlackte Light-Version für die Generation „ich bin influencer auf youtube LOL“ mit dem Selfie-Stick im Arsch und der Handy-Kamera stets in Anschlag, damit man auch stets darauf vorbereitet ist, schlafende Katzen, von der Schaukel plumpsende Kleinkinder oder das Frühstück filmen und sofort auf „biddelikedmeinenchannelichliebeeuch“ uploaden zu können.

Und ehe ich es vergesse: Bitte lest euch diese Kritik nicht durch, da sind so viele Buchstaben drin, das verwirrt nur und ist anstrengend, sondern gebt mir einen Daumen hoch, liked mich auf Instagramm, lecked mich auf Facebook, gebt mir ein shoutout, abonniert meinen Chantal auf Youtube und kauft bitte ganz fleißig meine absurd überteuerten „ich vermarkte mich selbst, obwohl ich scheißlangweilig bin und null zu sagen habe“-Merchandising-Artikel, damit ich auch ohne Hauptschulabschluss ein angenehmes Leben führen kann. Immerhin ist das total anstrengend, das eigene Leben 24 Stunden lang zu dokumentieren, mir irgendwelche click-bait-Titel auszudenken, und täglich eine halbe Stunde lang in die Kamera zu plappern, ohne auch nur einen einzigen geraden Satz auf die Reihe zu bringen, was aber ohnehin egal ist, da alle meine Videos mit einem überhaupt nicht aufgesetzten „Hiiii, Ihr Süüüßen!“ beginnt, ausschließlich meine Social-Media-Sites bewirbt und mit einer Kusshand endet.


Diese Rezension ist der westlichen Filmkultur gewidmet, die 2018 brutal durch ein aufs Gesicht gedrücktes Furzkissen gemeuchelt wurde.

Die verwendeten Bilder auf dieser Seite stammen aus dem Pressebereich der Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH. 

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